Brian Tolle (*1964 USA)

Anlässlich der Ausstellung Genius loci in der Kunsthalle (1998) hat Brian Tolle ein Fenster der gegen die Altstadt gerichteten Nordfassade massstab- und detailgetreu nachgebaut, es jedoch auf der blinden Südseite der Kunsthalle installiert. Allerdings funktioniert es auch als autonomes, transportables, nicht situationsgebundenes Kunstwerk.

Das Fenster des amerikanischen Künstlers ermöglicht einen ungewohnten Ausblick auf das historische Bern: Alle bekannten Baudenkmäler, selbst der Bärengraben, sind auf einem einzigen, unmöglichen Bild, einem regelrechten Architektur-Capriccio, vereint. Tolle hat stereotype Bilder der Stadt verwendet – Postkarten – und sie mit Photoshop auf dem Computer bearbeitet, zusammengefügt und farblich einander angeglichen. Another View of Bern ist aber nicht nur ein amüsantes Bilderrätsel oder eine Anspielung auf die traditionelle Definition des Gemäldes als Fenster, das eine Aussicht auf die Welt ermöglicht. Brian Tolles Bern-Bild ist Anschauungsunterricht in sightseeing – im touristischen Sinne natürlich, vor allem jedoch als Bewusstmachung der Wahrnehmungsmechanismen und Manipulationsmöglichkeiten, denen wir immer wieder zum Opfer fallen.

Welches Bild wollen wir uns von der Stadt Bern (als Modell für jede andere „Realität“) machen? Wie sollen wir die Stadt wahrnehmen: als Artefakt, als Fiktion, als touristisches Kitschprodukt? Wie werden Vor-Bilder eingesetzt? Wer determiniert unsere Sichtweise? Another View of Bern bietet just ein kritisches, alternatives (another), individuelles Modell des Sehens. B.F.

Werkübersicht