Leidy Churchman (*1979)

In seinem Video Painting Treatments (2010) führt Leidy Churchman (*1979, lebt in New York) gemeinsam mit den Künstlern MPA und Anna Rosen Gesten der Malerei aufliegenden Körpern aus. Die Aktionen sind zuweilen energisch, erotisch und ruppig.

Die Körperwerden mit harten Materialien wie Holz bedeckt oder sind gänzlich nackt und der direkt auf die Haut klatschenden Farbe ausgeliefert. Mitunter gehen die Künstler aber auch zärtlich vor, tragen dieFarbe mit grosser Sorgfalt auf, situieren Objekte in präzisen Anordnungen oder massieren Materialien akribisch in die Körper ein. In einem Artikel mit dem Titel „AbEx and Disco Balls“, der 2011 in Artforum erschien, deutet die Malerin Amy Sillman diese Arbeit von Churchman als eine Art Wiederaufnahme und Neuinterpretation des Abstrakten Expressionismus.

Während der Ruf des AbEx auf „ungelehrter Rohheit“ und existenziellem Pathos basiert, bildet das Vokabular der Befleckung, des Verschüttens und der körperlichen Aktion gemäss Sillman immer schon eine treibende Kraft für die Entwicklung zeitgenössischer und zukunftsweisender malerischer Praktiken. AbEx beinhaltet gleichsam den Wunsch nach Auslöschung: Er ist, so Sillman, eine „Praxis des Zweifelns“. Heute stehen das Instinktive, die gestische Naivität und eine starke Materialität einmal mehr auf dem Prüfstand. Das mag mit einer bestimmten Sehnsucht zu tun haben, die sich in diesen Zeiten der unendlichen Informationsflut und Vernetzung und der gleichzeitigen Ermüdung und Entfremdung einstellt.

Es geht um eine Praxis, für die der Körper und die Sinne eine sehr bedeutende Rolle spielen und die von jüngeren Generationen neu interpretiert und konnotiert wird. Das mittlerweile verrufene Vermächtnis des AbEx – seine machohaften und bourgeoisen Züge – wird überblendet durch scheinbar unvorhergesehene, mit homosexuellem und transsexuellem Pathos aufgeladene Praktiken, durch kollektiven Ausdruck und durch Sinnlichkeit.

Painting Treatments könnte auch mit Performancekunst in Verbindung gebracht werden, spezifisch mit den materialreichen Versuchen der Wiener Aktionisten (man denke nur an die Arbeit 8/64 ANA von Kurt Kren und Günter Brus, in der Objekte hinter Farbe verschwinden, die auf sie geworfen wird). Aber Churchmans Vorgehensweise ist sanfter, gezeichnet von einem greifbaren und bedachtsamen Bedürfnis nach Nähe – und steht so in scharfem Kontrast zur oft transgressiven Brutalität der Wiener Aktionisten. Die bei Churchman zur Darstellung kommenden Handlungen mögen chaotisch und ungeordnet anmuten, doch münden sie in wirkungsvolle, einprägsame Kompositionen.

Im Einklang mit den Anspielungen auf den Abstrakten Expressionismus und die Körper-und Performancekunst nutzt Churchman die Malerei als Bühne, als Ort, an dem Handlungen, Selbsterfahrung und Affekte ausagiert werden können. Dabei werden der Körper und der mit ihm verbundene Gender-Komplex behutsam angegangen; die Körpergrenzen werden nicht etwa radikal aufgebrochen, sondern vorsichtig aufgelöst und zum Verschwimmen gebracht.

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